Rettet den Volksentscheid – Allgemeine Begründung des überarbeiteten Gesetzentwurfs vom 24.3.2016

Gesetzentwurf
Begründung im Einzelnen
Häufig gestellte Fragen


Durch dieses Volksbegehren sollen in Hamburg das faire Miteinander von pdfparlamentarischer und direkter Demokratie und die Demokratie insgesamt gestärkt werden.

Es gibt zwei aktuelle Anlässe für diese Volksinitiative:

Anfang Juni 2015 wurde im Zuge der Hamburger Bewerbung für die olympischen und paraolympischen Spiele das Bürgerschaftsreferendum eingeführt. Diese außerordentlich schnell realisierte Verfassungsänderung führt zu mehreren Problemen. Sie ist darauf angelegt der Exekutive (dem Senat) die Verfahrenshoheit über Volksabstimmungen zu ermöglichen oder zumindest ihrefinanziellen, organisatorischen und institutionellen Möglichkeiten in das Volksabstimmungsverfahren einzubringen.
Weltweit ist zu beobachten: Immer wenn die Exekutive Referenden, Volksabstimmungen von oben, initiieren und auch das Verfahren „beherrschen“ kann, kommt es zum politischen Missbrauch von Volksabstimmungen. Das gilt nicht nur für autokratische und halbautokratische regierte Länder sondern selbst für Demokratien. Das zeigen auch jüngste Beispiele: In Griechenland wurde eine Volksabstimmung durchgeführt, nicht um eine Grundsatzentscheidung über den Verbleib in der Europäischen Union (EU) zu fällen, sondern aus taktischen Gründen, um die Verhandlungsposition der Regierung mit der EU zu stärken. In Großbritannien schob die Regierung eine Volksabstimmung zum Verbleib des Landes in der EU vor allem an, um Machtfragen in der Regierungspartei zu klären. Die ungarische Regierung will eine Volksabstimmung zum Flüchtlingsthema im Stil autokratischer Systeme herbeiführen. Auch das Hamburger Olympiareferendum sollte vor allem helfen, die Chancen der Bewerbung zu erhöhen. Dazu zog die Exekutive alle Register einer Werbekampagne – mit dem dazu gehörenden finanziellen und personellen Aufwand. Das faire und sachliche Für und Wider der Bewerbung blieb auf der Strecke. Das ist typisch für exekutiv getriebene Referenden.

Um solche Fehlentwicklungen zu vermeiden, sollten Referenden nur von Parlamenten eingeleitet werden können, Gegenvorlagen aus der Opposition und/ oder dem Volk möglich sein und die Exekutive sich auf die Durchführung des Abstimmungsverfahren beschränken. So sieht das auch die Venedig-Kommission, ein für Verfassungsfragen zuständiges Organ des Europarats.

Eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments als Voraussetzung für die Einleitung eines Referendums reicht nicht aus, um den Missbrauch des Instruments zu verhindern. Oft werden dazu fehlende Stimmen aus der Opposition durch sachfremde Zugeständnisse „eingekauft“. Das Beispiel der Verfassungsänderung zur Einführung von Bürgerschaftsreferenden ist auch dafür typisch. Die anfangs kritische Bürgerschaftsfraktion der CDU stimmte zu, nachdem ihr Wahlrechtsänderungen angeboten wurden.

Und das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit macht auch grundsätzlich keinen demokratischen Sinn bei Referenden. Sie ist zweckmäßig, wenn wichtige Entscheidungen im Parlament nicht zustande kommen oder wenn es um stark umstrittene grundlegende Entscheidungen mit langfristiger Wirkung geht. Sie ist nicht erforderlich, wenn große Mehrheiten im Parlament sich ohnehin einig sind. Diese Mehrheiten leiten nach aller Erfahrung keine Referenden ein, deren Gegenstand beim Wahlvolk umstritten ist oder kritisch gesehen wird – wer verliert schon gern. Für solche Fälle gibt es Volksinitiativen und fakultative Referenden.

Die Verfassungsänderung wurde offensichtlich nicht nur vorgenommen, um die notwendige Verfassungsregelung für die Abstimmung über die Olympiabewerbung zu schaffen. Dazu hätte eine Einzelfallregelung in die Verfassung aufgenommen werden können. Das wurde auch von der Mehrzahl der dazu im Verfassungsausschuss angehörten Experten empfohlen. Mit der Verfassungsänderung wurde der Exekutive nicht nur die Möglichkeit geschaffen, sich mit all ihren Ressourcen in eine Volksabstimmung einzubringen. Die eingeführten Regeln erlauben Senat und Bürgerschaft, die Verfahrenshoheit über Volksabstimmungen von unten zu übernehmen. Sie sind geeignet Volksentscheide im Keim zu ersticken, so der Staatsrechtler Prof. Dr. Hans Meyer, der auch zur Verfassungsänderung angehört wurde. Die Rechtswirkungen der Verfassungsänderung ergeben sich meist indirekt. Der Sachverhalt ist also verklausuliert. Das dürfte für eine Verfassung ungewöhnlich sein. Politisch kann es im Zusammenhang mit der sehr kurzfristig anberaumten Verfassungsänderung als Verschleierung von Rechtswirkungen angesehen werden.

Die möglichen Wirkungen des Beschlusses von Senat oder Bürgerschaft zu einem bestimmten Thema ein Bürgerschaftsreferendum durchzuführen:

• Eine Volksinitiative befindet sich noch in der Vorbereitung oder ist noch nicht zustande gekommen: Sie wird unzulässig sein. Das Thema der Volksinitiative ist auf unbestimmte Zeit blockiert, weil der Beschluss von Senat und Bürgerschaft, zu einem bestimmten Thema ein
Referendum durchzuführen, in der Verfassung nicht verbunden ist mit dem Abstimmungstag. Die dazu später auf öffentlichen Druck eingeführte einfachgesetzliche Regelung kann leicht wieder aufgehoben werden. Auch deshalb wird im Folgenden nur auf die Verfassungslage Bezug genommen.

• Eine Volksinitiative ist zustande gekommen und zulässig: Sie wird in ein Volksbegehren mit extrem kurzer Vorbereitungszeit gezwungen oder muss 3 bis 5 Jahre ruhen. Die kurze Vorbereitungszeit wird das Zustandekommen des Volksbegehrens verhindern, erlaubt auch für die Verwaltung kein ordnungsgemäßes Verfahren oder erledigt die Initiative politisch durch Zeitablauf.

• Ein Volksbegehren ist zustande gekommen: Senat und Bürgerschaft übernehmen die Verfahrenshoheit. Sie bestimmen nun den Zeitpunkt der Abstimmung. Das Anliegen des Volksbegehrens kann als Gegenvorlage eingebracht werden. Findet dadurch z.B. die Abstimmung nicht mehr an einem Wahltag statt, können beide Vorlagen leicht am Zustimmungsquorum von 20 % der Wahlberechtigten scheitern.

• Sonderfall Verfassungsänderung: Bis zur Verfassungsänderung von 2015 galt, dass Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen nur am Tag der Wahl zum Deutschen Bundestag oder zur Bürgerschaft stattfinden können. Das erforderliche Zustimmungsquorum wird jeweils von der Wahlbeteiligung abgeleitet und ist überwindbar. Nun kann eine Volksinitiative zur Verfassungsänderung nicht nur zeitlich ausgebremst, sondern auch in ein aussichtsloses Verfahren gezwungen werden, in dem Senat und Bürgerschaft die Verfahrenshoheit übernehmen und den Abstimmungstag vom Wahltag trennen können. Und dann gilt Art. 50 Absatz 4b Satz 8 der geltenden Verfassung: „Eine außerhalb des Tages der Wahl zur Bürgerschaft oder zum Deutschen Bundestag zur Abstimmung stehende Verfassungsänderung ist angenommen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden und mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten zustimmen“. Wer so eine Regel einführt, will keine Verfassungsänderung durch das Volk. Das weicht gravierend von dem Demokratieverständnis ab, das diese Volksinitiative trägt. Dies ist der Grund, warum diese Volksinitiative noch vor dem In-Kraft-Treten der Verfassungsänderung angezeigt werden musste. Und deshalb müssen die Regeln für Volksabstimmungen insgesamt und teilweise auch für Wahlen aufgehoben und neu gefasst werden. Dafür gibt es auch strukturelle Gründe.

Statt des inzwischen eingeführten Bürgerschaftsreferendums, das die oben erläuterten Probleme aufweist, wird ein Parlamentsreferendum aus folgenden Gründen vorgeschlagen:
Bei grundlegenden Reformen und langfristigen Projekten können solche Referenden sinnvoll und geboten sein. Sie schaffen Sicherheit für Entscheidungen und verbessern die Kontinuität politischen Handelns. Die Mehrheit eines Parlaments hat nicht zwangsläufig auch die besten Vorschläge. Deshalb erhält die Opposition das Recht, mit der Unterstützung von mindestens 20% der Abgeordneten eine Alternative zur Abstimmung zu stellen. So eine Alternative kann auch vom Wahlvolk eingebracht werden. Das fördert den Wettbewerb um den besten Vorschlag und gibt dem Volk die Möglichkeit, nicht nur mit Ja oder Nein zu entscheiden. Mit Regeln zum fairen Miteinander von Referenden und dem dreistufigen Volksabstimmungsverfahren werden die Probleme des geltenden Bürgerschaftsreferendums verhindert. Kein Verfahren kann das andere aushebeln und eine Gegenvorlage verhindern.

Der zweite Anlass ist der Beschluss der Bürgerschaft vom 13.12.2013, eine Sperrklausel für Bezirksversammlungswahlen in die Verfassung aufzunehmen. Das Hamburgische Verfassungsgericht hatte zuvor die einfachgesetzliche Sperrklausel für unzulässig erklärt. Auf der Basis dieser Verfassungsänderung hat das Gericht die Sperrklausel inzwischen als verfassungskonform eingestuft. Durch diese Verfassungsänderung war auch ein fakultatives Referendum nicht mehr möglich, das eigens eingeführt worden war, um das Wahlgesetz und Ergebnisse von Volksentscheiden vor Änderungen durch die Bürgerschaft besser zu schützen. Dieser Schutz kann derzeit vom Parlament durch Verfassungsänderung umgangen werden, wenn entsprechende Mehrheiten das wollen. Auch deshalb soll die Verfassung nicht mehr ohne die Zustimmung des Volkes geändert werden können (obligatorisches Verfassungsreferendum). Dafür spricht außerdem ein urdemokratischer Grund. Das wirklich Grundlegende, die Verfassung mit ihren unveränderbaren Grundrechten, soll in der Verantwortung des Volkes liegen. Das fördert die Identifikation mit der demokratischen Grundordnung und dem Gemeinwesen und schützt vor obrigkeitsstaatlichem Denken.

Der Gesetzentwurf der Volksinitiative enthielt eine Änderung der fixen Sperrklauseln in den Artikeln 4 und 6. Sie sollten durch eine Obergrenze von 5 % für solche Sperrklauseln abgelöst werden. Davon wird in diesem Gesetzentwurf abgesehen, um nicht an dem Gebot der Einheit der Materie für Gesetzentwürfe zu scheitern.

Die gesetzlichen Regeln für Abstimmungen auf der Landes- und Bezirksebene sollen wie die Wahlgesetze durch das Instrument „fakultatives Referendum“ geschützt werden. Im Zusammenhang mit dem obligatorischem Verfassungsreferendum könnte dadurch das langjährige gesetzgeberische Hüh und Hott auf diesem Gebiet beendet werden. Auf das dafür ursprünglich vorgesehene obligatorische Referendum wird mit dieser Überarbeitung verzichtet. Es ist grundsätzlich nicht oder schlecht für Durchführungsgesetze geeignet. Das wird besonders deutlich bei der Änderung von Wahlkreisgrenzen. Für sie hätte das obligatorische Referendum ohnehin nicht gelten sollen. Die „natürlichen“ Interessenkonflikte zwischen Volk und Volksvertretern mögen mit den vorgeschlagenen Regeln ausreichend gemildert werden.

Die geltenden Zustimmungsquoren für Volksentscheide sind nur schwer nachvollziehbar und weder demokratietheoretisch begründbar noch plausibel. Sie sind im Zuge schwieriger Kompromissverhandlungen entstanden und nur aus deren Dynamik erklärbar. Da sie auch für fakultative Referenden gelten, blockieren sie Anpassungen von Gesetzen und Anderen Vorlagen, die durch Volksentscheide beschlossen wurden, auch wenn veränderte Sach- und Rechtslagen dies erfordern. Wenn es überhaupt Quoren geben soll, dann müssen sie einheitlich, systemtreu und nachvollziehbar sein. Dem trägt die Neuregelung Rechnung. Die Abhängigkeit des Zustimmungsquorums von der Wahlbeteiligung einer gleichzeitig stattfindenden Bundestagswahl entfällt. Die Bundestagswahl und ihre Wahlbeteiligung sind so wenig plausibel verknüpfbar mit der Höhe eines Zustimmungsquorums für Volksentscheide in Hamburg wie die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag mit denen in der Hamburgischen Bürgerschaft. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum für die Verabschiedung gleichlautender Gesetze unterschiedliche Quoren gelten können: Findet ein Volksentscheid nicht am Tag der Wahl zur Bürgerschaft oder zum Bundestag statt, dann gilt ein Zustimmungsquorum von 20 %. Wird der Volksentscheid an diesen Wahltagen durchgeführt, verändert sich das Quorum je nach der Höhe der Wahlbeteiligung und der Anzahl der Hamburger Wählerinnen und Wähler, die im gleichzeitig gewählten Parlament repräsentiert sind. Das kann dazu führen, dass ein Volksentscheid am Tag einer Bundestagswahl am Zustimmungsquorum scheitert, obwohl die Zustimmung absolut und relativ sehr viel höher war als bei einem Volksentscheid, der am
Tag einer Bürgerschaftswahl erfolgreich ist.

Bei der neuen Regelung wird das Zustimmungsquorum für alle Volksentscheide nur von der Beteiligung an der Bürgerschaftswahl abgeleitet Der Grundgedanke: Für die Zustimmung zu einem Volksentscheid ist die Zahl an Wählerinnen und Wählern erforderlich, durch die auch über ihre Repräsentanten ein entsprechender Beschluss in der Bürgerschaft gefasst werden könnte. Die dafür geltenden Mindestanforderungen sind in der Verfassung bereits normiert.

Die Bestimmungen für Volksabstimmungen werden übersichtlicher und klarer strukturiert.

2 Gedanken zu „Rettet den Volksentscheid – Allgemeine Begründung des überarbeiteten Gesetzentwurfs vom 24.3.2016

  1. Dirk Sandhorst

    Ich hatte nach der Information gesucht, was sich eigentlich genau durch die Olympia-Bewerbung genau in Bezug auf volksiniativen geändert hatte und wieso Volksiniativen dadurch fast unmöglich werden.
    Habe das aber unter „Informationen“ nicht gefunden, weder unter allgemeine Begründung noch unter Begründung im Einzelnen. Dort fand ich nur ungenaue Formulierungen wie „etwas verringert“ (warum hier nicht die Prozentzahl).
    Unter „Antrag der Bürgerschaft“ habe ich etwas gefunden, aber auch hier nur sehr mühsam verständlich, was das Problem ist. Habe ich es richtig verstanden, dass folgendes das Problem ist:
    „1. Falls eine Volksiniative im Gange ist, aber noch nicht die notwendigen 10.000 Unterschriften fertig gesammelt wurden, kann die Bürgerschaft sehr kurzfristig ein Referendum beschließen und dann wird die Volksiniative ungültig und kann auch nicht mehr weitergeführt werden.
    2. Falls die 10.000 schon gesammelt und eingereicht wurden, kann das Volksbegehren zwar noch als Gegenentwurf zum Referendum eingereicht werden. Allerdings hat dann die Volksiniative nur 2 Wochen Vorlauf statt bisher 6-18 Monate, um die Bevölkerung zu informieren und die Unterschriftensammlung vorzubereiten.
    3. Bisher durfte sich die Volksiniative den Zeitpunkt aussuchen und hat dann einen Wahltag genommen, damit es leichter ist, die minimal nötige Beteiligung zu erreichen. Jetzt darf die Bürgerschaft den Termin bestimmen und es auf einen Tag legen, an dem das Quorum besonders schwer zu erreichen sein wird.
    4. Das Ergebnis eines Referendums darf erst 7 Jahre später durch eine Volksinitiative wieder in Frage gestellt werden.

    Habe ich das so richtig verstanden? Vielleicht formuliert ihr das dann etwas klarer.
    Auch was mit dem Wahlrechtsraub gemeint sein soll, habe ich nicht verstanden.

    Antworten
    1. Redaktion

      Sehr geehrter Herr Sandhorst,

      Ihre Ausführungen geben den Sachverhalt im Wesentlichen richtig wieder.
      Die Verfassungsänderung ist sehr geschickt gemacht worden, die Auswirkungen sind daher nicht leicht erkennbar.
      Aus diesem Grund hat Manfred Brandt eine Fallanalyse entwickelt, die die Auswirkungen aufführt. Schauen Sie gern einmal drauf! http://www.rettetdenvolksentscheid.de/wordpress/wp-content/uploads/2015/05/Fallanalyse-Verfassungsaenderung-.pdf

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